Donnerstag, 6. September 2012

Vom richtigen Denken

Dr. Richard David Precht hat mit seiner ersten eigenen Fernsehsendung, die er schlich "Precht" nennt, gleich eines der Themen aufgegriffen, das wohl kontrovers diskutiert wird wie kaum ein anderes. Die Rede ist vom Thema Schulbildung.

Precht und auch sein Gast, Gerald Hüther, vertreten die Auffassung, dass unser Bildungssystem antiquiert ist und Kindern den Raum nimmt, sich und ihre Wissbegierde frei zu entfalten.Welcher Meinung man dabei auch immer sein mag, eines fehlt in der Schule in jedem Fall: Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Verstand und dem eigenen Denken. Nur allzu oft nämlich stellt man fest, dass der Gegenüber zwar eine unglaubliche Fülle an Fakten herunterbeten kann, seine eigene Denkweise aber nicht im geringsten kontrolliert oder auch nur nachvollziehen kann.

Es geht um die Kunst, richtig zu denken - denn entgegen der allgemeinen Annahme sind die Gedanken eben nicht frei, zumindest nicht tatsächlich. Tagtäglich werden wir manipuliert und beeinflusst, der "rational agierende Mensch" ist nicht mehr als ein Märchen. Selbst Ultraliberale stimmen dem zu.
Wir sind nicht Herr unserer Gedanken, unsere Gedanken sind Herr über uns. Vor Allem aber geben wir uns nur zu gern der Illusion hin, unsere Meinung sei perfekt und die einzig richtige. Und schon darin verbirgt sich der eigentliche Denkfehler:

Es ist ein Fakt, dass kein Mensch der Welt alles wissen kann. Auch ist es ein Fakt, dass wir zu fast Allem in irgendeiner Form eine Meinung haben. Diese basiert aber keineswegs auf Fakten, sondern auf einer toxischen Mischung aus Halbwissen, Emotionen (!), dem, was wir gerade von unserem Lieblingsautoren gelesen haben. Und manchmal ist sie tatsächlich noch mit ein paar aufgeschnappten Fakten garniert. Jedenfalls ist sie keineswegs so objektiv und rational, wie wir sie gerne darstellen.

Wie also kann man diese Irrationalität in eine "richtige" Denkweise transformieren?
Nun, den ausgefeiltesten Ansatz hat ein Österreicher (und späterer Brite) vorgetragen. Sir Karl Raimund Popper gilt als Begründer des kritischen Rationalismus, einer philosophischen Strömung, die sich fast ausschließlich mit dem Geheimnis der richtigen Denkweise auseinandersetzte. Der von linken Terroristen ermordete ehemalige Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, war ein großer Anhänger Poppers.

Karl Popper war der Auffassung, dass man niemals alles wissen kann. Man selbst kann immer Denkfehlern unterliegen oder von der eigenen Emotion übermannt werden - außerdem gibt es viel zu viele Dinge, die relevant sein könnten, als dass der Einzelne eine tatsächlich richtige Meinung haben könnte. Es ist also ratsam, die eigene Meinung immer zuerst einer eingehenden Prüfung auf Denkfehler und ähnliches zu unterziehen. Dabei filtert man am Besten sämtliche Emotionalität heraus - Emotion nämlich lähmt die Logik und verwässert sie.

Dieses überprüfen der eigenen Meinung muss man nun immer und immer wieder wiederholen. Man muss sich stets bewusst sein, dass die eigene Meinung, die eigene Denkweise, fehlerbehaftet und falsch sein kann. Im Diskurs mit Leuten, die anderer Meinung sind, kann ich meine eigene am allerbesten überprüfen. Es geht um eine fast wissenschaftliche Denkweise:

Ich halte meine Meinung für richtig, denn ich habe sie überprüft. Ich halte sie so lange für richtig, bis mir jemand einen Beweis dafür liefert, dass sie nicht richtig ist.

Wir kämpfen also fast gegen unsere eigene Meinung an und halten sie von vorneherein für falsch. Wenn wir sie also vertreten, dann nicht, um den anderen zu überzeugen, sondern um die eigene durch Gegenargumente zu überprüfen: Hält meine Meinung den Gegenargumenten stand, habe ich sie NICHT bewiesen. Hält sie nicht stand, habe ich sie aber falsifiziert.


Im Alltag angewandt ist es diese Denkweise, die zu genau dem führt, was wir gemeinhin als "Toleranz" bezeichnen. Dann nämlich erst, wenn ich mir meiner eigenen Unwissenheit bewusst bin, kann ich akzeptieren, dass jede Ansicht und somit auch jeder Mensch seinen Platz und seine Berechtigung hat.

Ich kann Popper nur empfehlen, es gibt genügend einschlägige Literatur von und mit ihm. Aber durch Alfred Herrhausen ergibt sich die einzigartige Möglichkeit einem Menschen zuzuhören, der den kritischen Rationalismus zu seiner Alltagsphilosophie gemacht hat. Zudem ist es wohl eines der interessantesten Interviews mit einem der beeindruckendsten Menschen, die Youtube zu bieten hat.

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